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AndersArtig-Blog

Flo schreibt schon seit ein paar Jahren. Dies und das, aus seiner Zeit als pädagogische Fachkraft, über Schule, (Nicht)Erziehung, Partnerschaft, über sich und sein Heilen von der alten Autorität. Manchmal auch über das Mann und Vater sein, in einer Welt, die dringend präsente Väter braucht, aber selten auf gelungen Rollenvorbilder zurückgreifen kann. Bis jetzt nur auf Facebook, gibt es die Texte nun auch hier! :-)


12/18/2022

Integration - Sterben wie Glatzen-Per, trauern wie Mattis

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Heute ist Flo traurig, vor einem Jahr ist seine Mama gestorben. Bis dahin und darüber hinaus war es eine Reise, von der wenig vorher noch keiner gedacht hat, dass sie ansteht. Ganz schön viel Traurigkeit, Wachstum und Veränderung…

Geschrieben habe ich damals das unten. Weil Tod und Traurigkeit kein Tabu mehr sein darf muss, und nicht mehr zu Wut werden muss und soll, und weil genau diese Offenheit auch und ganz besonders Du warst…

Heute denken ich und viele andere an Dich. ♥️

*18 12 2021*

Und dann haben wir um dich gekämpft:

Mama, wir holen dich da raus! Hab keine Angst! Mit allem, was wir haben, mit allem, was wir können, mit allem, was wir sind! Auch mit dem, von dem noch keiner von uns wusste, dass er es kann, dass wir es sind… Aber du wusstest es, und deshalb hast du uns dein größtes Vertrauen geschenkt. Oh mann… Mama… Danke!

“Deine drei Jungs”… Drei Tage und Nächte, nach einigen Wochen heftigster Achterbahn und Angst und Schmerz und Trauer. Keine Minute mehr lassen wir dich allein! Und du hast uns gespürt. Wir durften nochmal zusammen lachen, zusammen weinen, zusammen trauern, zusammen wachsen, zusammenwachsen. Zusammen leben und zusammen loslassen…

Neben aller Trauer ein großes Geschenk und kleiner Trost, zu wissen, dass wir dir deine Würde ein kleines Stück zurückgeben durften. Zu Hause, wo du es so schön hast, im Kreis deiner drei Jungs, umgeben von vielen weiteren, die dir wichtig sind und waren. Viele letzte gemeinsame Tränen und wunderschöne Worte von so vielen, für dich. So wolltest du es, so sollte es immer sein. Wir gehen jetzt nicht mehr weg, wir lassen dich jetzt nicht mehr allein! Bis du deine Augen noch ein letztes mal geöffnet hast, um zu sehen und zu spüren, dass auch du jetzt loslassen kannst. 🕯️

Integration  -  Sterben wie Glatzen-Per, trauern wie Mattis:

Mama… Du musst sterben, und du wünscht dir, dass es nicht mehr lange dauert. Der Tod, wie die Geburt essenziell für den Kreislauf des Lebens. Ja… Verdammt, aber Du? Aber jetzt? Aber so? Es ist eine der letzten Nächte, durchwacht haben sie unendlich viele Stunden. Wir reden, erzählen… Auch, wo und wie uns der Tod als Kind in echt oder in Geschichten begegnet ist, wo Menschen gestorben sind. Du hattest noch kriegstraumatisierte Eltern, dein Vater hat sogar zwei(!) Weltkriege erlebt, und dennoch oder gerade deshalb viel Schweigen… Zu viel Tod gesehen und erlebt. Und dann hattest du als recht freies Kind mit Brüdern die Leichenschauhäuser des frühen städtischen Krankenhauses… Wie spannend!!

Ich hatte die Brüder Löwenherz, harte Kost für mich als Kind, so deep. Ging es jemandem ähnlich damit? Später Tabaluga, dessen Vater starb, als meiner uns gerade verließ (und in meiner Fantasie analog dazu das erste mal gestorben ist)… Geschichten, die mich noch lange begleitet und gefesselt haben. Ronja Räubertochter hatte mich zwischenzeitlich etwas mit den Brüdern Löwenherz versöhnt. Sterben klar, aber dann wie Glatzen-Per. Nochmal im Arm des Räuberhäuptlings einschlafen, ein letzter Pups in der Runde… (Du musst kichern. Und es ist nicht so, als hätten wir nicht versucht, uns ins Bett zu quetschen, iiirgendwie auf dem Rand zu balancieren…). Und auch der große starke Räuberhäuptling kann es dann am Ende erst nicht fassen, dass du jetzt wirklich gegangen bist. Du warst immer da! Leugnen. Wüten. Trauern…

Wir sprechen noch über vieles. “Mama, hast du schon mal über Suizid nachgedacht? Also früher, oder aber auch jetzt?”… “Nein, eigentlich nie wirklich. Aber du, oder?” Meine Gedanken mal… das gehört zu unserer gemeinsamen Biografie und es ist in dem Moment schön, zu wissen, dass wir nicht nochmal darüber reden müssen. Das darf gut sein. Aber wir reden über den Freitod, über Suizidkapseln in der Schweiz, über Todessehnsucht - oder faszination. Wir haben beide schon einen Freund an den selbst gewählten Tod verloren. Der Tod hat viele Gesichter, das Sterben viele Formen. Ohne Tod kein Leben…

Das und die Geschichten der letzten Wochen dürfen Zeit bekommen, sich zu setzen, zu sortieren, ihren Platz zu finden. Vielleicht auch noch in Form des ein oder anderen Gedankens hierzu. Was mir jetzt dabei hilft, ist, wie mir der Tod als Kind begegnete, wie ich dabei begleitet wurde. Ich habe (Welt)Bilder dazu, die sind ok, mir plausibel. Ich habe meine Eltern traurig sehen dürfen. Niemand ist “einfach eingeschlafen”, ich habe geliebte Haustiere amtlich betrauert und beerdigt (r.i.p. Bommel, mein erstes Meerschweinchen! Und so einige danach), habe Molche vergehen sehen, manche Fische getötet und gegessen, (und andere betrauert und wieder zurückgetan).

Es gibt verschieden Tode, manche betreffen einen emotional mehr, andere weniger. Manchmal betrifft einen auch der Tod von jemandem sehr, den man vielleicht gar nicht richtig kannte. Meine Großeltern sind schon lange tot… mein Vater noch vorher… Freunde… Zwar habe ich als Kind auch viel Zeit in Kirchen verbracht und viele Predigten und Texte zum Thema Tod gehört, aber auch manch andere faszinierende Geschichten gelesen. (”Mama, bist du eigentlich grad froh, dass wir nicht in einem Kulturkreis aufgewachsen sind, in dem wir die Toten einmal im Jahr aus ihren Gräbern holen und geschminkt mit an den Tisch setzen? Ich meine… So erspart man sich das Abschied nehmen.” “Dann hätte ich ja nie meine Ruhe!”)

Wie wichtig es aber sein kann, Dinge unabhängig von seiner Konfession noch zu Lebzeiten zu klären, habe ich zuletzt erst wieder in der universalen Schule des Lebens lernen dürfen. Ich hatte zwar schon mehrere solcher Erfahrungen, also das Gefühl…  “Verdammt, es kann so schnell vorbei sein! Es wäre vielleicht gut, manche Dinge nicht ungesagt oder ungeklärt zu lassen!” Aber von Zeit zu Zeit wird man erinnert, oder darf besondere Begegnungen begleiten. Und wenn man dabei sein darf, wie sich zwei lebenslange Weggefährtinnen mit viel Zeit und dennoch für immer verabschieden, dann macht das was.

Das jüngste Gericht… Die letzten Gedanken mit uns selbst, das letzte Spiegeln der anderen. Das bin ich, das war mein Leben. Das scheint mir so universell (und die grundsätzliche Idee plausibel). Diese Gedanken finden alle noch hier statt und setzen sich in den lebendigen Köpfen fort. Als ewige Trauer und ewiges Vermissen, oder als gern und liebevoll bedacht? Als elektrische Muster in anderen auf jeden Fall konkret nachweisbar. Und Verdammnis in den Köpfen von Generationen von Menschen, klingt einfach nicht sehr attraktiv. Dann ziehe ich doch vor, in echt wieder ein Mikroteilchen von allem zu sein. (”Oder ein Teil von einem Baum, wie Oma dann! Oder von einem Einhorn!” L., 4… “Oder Sternenstaub!” F., 45) Und am Ende… ach…

Tod heißt oft auch Trennung und Außeindersetzung mit der eigenen Biografie. Von dem einen trennen wir uns leichter als von dem anderen. Über das eine denken wir weniger gerne nach als über das andere. Manche Trennung kommt mit Ankündigung und irgendwie zur bestellten Zeit, andere vielleicht einfach so aus heiterem Himmel und vollkommen ungerecht. Der Tod hat so viele Gesichter, das Sterben so viele Formen.

Wir erholen uns jetzt alle ein wenig, schaffen noch die letzten schweren Schritte. Und dann, wissen wir, darf es wieder gut werden.

Flo 18.12.2021

#mit(inneren)kinderntrauern  #Todistkeintabu  #breakthesilence

Admin - 03:57:32 | Kommentar hinzufügen