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AndersArtig-Blog

Flo schreibt schon seit ein paar Jahren. Dies und das, aus seiner Zeit als pädagogische Fachkraft, über Schule, (Nicht)Erziehung, Partnerschaft, über sich und sein Heilen von der alten Autorität. Manchmal auch über das Mann und Vater sein, in einer Welt, die dringend präsente Väter braucht, aber selten auf gelungen Rollenvorbilder zurückgreifen kann. Bis jetzt nur auf Facebook, gibt es die Texte nun auch hier! :-)


03/14/2023

“Papa, bitte sprich mit mir!”

“Papa, bitte sprich mit mir!”

Mein Kind… Ich versuche es. ❤️
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Kürzlich schrieb ich über Liebeskummer. Oder nein, nicht wirklich über, sondern einfach eine Aussage. Nämlich die, dass wir als Menschen den ersten heftigen, herzzerreißenden Liebeskummer unseres Lebens mit unseren Eltern erleben, und so auch unsere Kinder ihren mit uns.

Wer Zugang zu seinen prägenden Erfahrungen als Kind findet, kennt wahrscheinlich auch das “stumme Gesicht” der Erwachsenen. Schweigen. Ob als Strafe oder aus Hilflosigkeit, oder dauerbeschäftigt mit der eigenen Lebenstraurigkeit, ist es eine Urquelle unseres kindlichen oder auch lebenslangen Liebeskummers. Und wer zulässt, sich selbst im jetzt zu begegnen, kennt nicht nur dieses regungslose Gesicht seiner Eltern, dass auch bei lautester Suche regungslos bleibt, sondern er erkennt sich vielleicht im heute wieder. Dann spürt er auch, dass hinter dem starren Gesicht ein Wirbelsturm toben kann, der doch auch bloß kein Land findet, um abzuflauen. Auch dort wohnen Einsamkeit und Verletzung. Wer keine Regung zeigt, musste auch das Stillsein erst schmerzhaft lernen. Was nach Leere aussieht, kann bis zum Überlaufen voll sein.

Als Kind aber dieser Energie ausgesetzt zu sein, vielleicht noch in Situationen großer innerer Not, gehört zu den schmerzvollsten Erfahrungen. Als Erwachsener habe ich diesen Schmerz vielleicht längst abgespalten. Vielleicht kommt er aber auch irgendwann wieder. Wenn wir uns als Eltern/Lebens/Geschäfts-Partner begegnen, kann es sein, dass wir uns in diesen Energien wiederfinden. In Konflikten kommen diese Anteile hervor. Je lauter einer wird, desto leiser und gefasster wird der andere. Und je leiser und gefasster der eine wird, desto wilder wird der andere. Ein Teufelskreis. Die Rollen in einem Konflikt können auch sekündlich wechseln, je nachdem, welcher Anteil (noch) resonieren muss (!). Energiegesetze, Neuronentänze… So dreht sich der Kreis mal in die eine, mal in die andere Richtung. Immer aber angetrieben von Schmerz, Wut und Verzweiflung, die wir seit unserer Kindheit mit uns tragen. Sowohl von dem, was sich hinter einer schweigenden Fassade verbergen kann, als auch von dem, was sichtbar wird, weil es sich nicht mehr aus-halten lässt. Scham als Nitrobeschleuniger dazu. Bitte fühle mich! Wie mächtig dieses Schweigen sein kann. Wie beängstigend und gleichermaßen lähmend das Toben. Emotionale Reaktionen sind in unserem Kulturkreis (aus seinen eigenen Gründen heraus) mit Schwäche konnotiert. Wer ruhig bleibt, hat die Kontrolle. Und wenn der kindliche Partner, die kindliche Partnerin gerade so sehr an mir zieht… Außerdem ist reden bloß Silber, zu schweigen aber Gold!
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Und jetzt ist da mein Kind. Es hat noch kaum Ressourcen, kann sich rhetorisch kaum wehren, ist so sehr abhängig davon, gerade nur bedingungslos angenommen und gehalten zu werden. Es will so dringend gesehen werden. Seine letzte Chance ist, uns so fühlen zu machen, wie es selber fühlt. Wenn es das noch kann. Und dann sind da wir, in Stein gemeißelt anstatt hinzufühlen. Wir fühlen den Schmerz dieser kühlen Zurückweisung bis heute. Ich weiß, ich schrieb oben, auch in dir und mir tobt vielleicht ein Sturm und im Schatten unserer Mauern tragen wir den Mantel des Schweigens, um überhaupt noch etwas am Leib zu haben. Und dennoch… Lasst es uns nicht tun. Es kann all das, was ich oben geschrieben habe, nicht wissen, nicht leisten. Es ist nur auf der panischen Suche nach Halt. Was wir Erwachsenen (uns) untereinander einvernehmlich (an)tun, ich sage ja, das ist unsere Sache. (Auch wenn ich uns allen sehr wünsche, dass wir es nicht tun.) Aber nicht mit unseren Kindern, die doch nicht mal uns gehören, die sich nicht ausgesucht haben, mit uns zusammen zu sein. Denn es tut weh und setzt sich sein Leben lang fort. Es findet sich letztlich irgendwann im Erwachsenenkörper wieder. Ein bisschen weiter und größer mit allem, im Kern aber noch immer genauso verletzt, verletzlich und ohne Worte. Es macht wieder das, was ihm schon damals blieb, und macht den anderen so fühlen, wie es sich selbst fühlt.
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Mit Kindern zu heilen, gehört zu den größten Herausforderungen meiner kleinen sonst so heilen Welt. Das sage ich auch manchmal, weil ich glaube, dass es so ist, weil ich es nahezu täglich spüre. Mit Kindern zu heilen, in Partnerschaften oder auch allein, ist verdammt anstrengend und kann immer wieder schmerzhaft sein. Gefühle zuzulassen, auch gegenüber unseren Kindern… Unseren ganzen eigenen Mist zu erkennen und nicht mehr weiterzugeben, ist in Wirklichkeit eine Heldentat (und gleichzeitig Kinderrecht! ❤️).
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Mein liebes Kind… Nein, das alles sage ich dir so nicht. Aber vielleicht schon, nur ein bisschen anders und vielleicht was ganz anderes noch dazu, oder auch gar nicht so viel. Aber wenn ich dann deine erleichterten, so weit herzoffenen Augen sehe, die mich glückserfüllt anschauen, weil ich es für einen Moment geschafft habe, aus meinem Schatten herauszutreten und dir aufrichtig eine Last nehmen konnte, die ich dir nur selbst zum Tragen gegeben habe… Dieses Leben! Dann denke ich, dass Reden vielleicht doch auch manchmal Gold sein kann. ☀️

AndersArtig-Flo

#GewaltfreieKindheit #KindernWorteGeben

Admin - 16:40:41 | Kommentar hinzufügen