AndersArtig-Blog

08/28/2023

Die Mütze des Grauens…

Die Mütze des Grauens

Mittlerweile empfinde ich es oft genug nur noch als einigermaßen anmaßend und fast ein bisschen unverschämt (ja, tatsächlich, schon irgendwie), wenn Lehrkräfte das von ihren Schüler:innen erwarten, und vor allem auf welche Art die Dinge kommuniziert werden. Ich warte bis heute auf eine schlüssige Erklärung jenseits von “Hat was mit Respekt zu tun!”…  “Das ist unhöflich!”…. “Es gibt halt Regeln, an die man sich zu halten hat!”… “Das macht man so!” und “Weil ich das sage!”.

Und dann frage ich mich: Wo ist denn da Dein Respekt? Deine “Höflichkeit”? Was geht dich das Äußere eines Kindes überhaupt an? Was tust du hier gerade? Absurd. Es hat sich doch auch nicht an dir und deinem Ausdruck zu stören, oder an deiner dicken Brosche o. Ä. im Haar (auf die ich leider immer gucken muss…). Und dann wundern wir Erwachsenen uns über den Zustand der Gesellschaft und darüber, dass Kinder uns heute entweder nicht ernst nehmen können(!), oder höchst verunsichert sein müssen(!). Im Gegenteil kenne ich zig gute Gründe, eine Mütze oder ein Cappy zu tragen. (Allein schon die “pfiffig fetzige“ Frise, die Mama mir manchmal dachte machen (lassen) zu müssen. Ich habe mich tagelang so geschämt, wie unser Hund nach der Schur. 😑 ) Ich hatte ein bisschen gehofft, dass die Zeiten wirklich blinden Gehorsams vorbei sind. (Nein, sind sie nie ganz, ich weiß…) Und dass diese Bedürftigkeit des Erwachsenen, nicht mehr permanent das Wohl und Recht des Kindes schlagen muss. (Ja, ich weiß, dir ist halt wichtig, dass… Du willst halt gerne, dass… Ja, du. Ich verstehe.) Ohrring raus oder abkleben beim Sport, Sicherheitsgründe, versteht jeder. Aber das, und auf diese Art? (Zumal die kleine Mitschülerin im wallenden Tüllkleid, mit aufwendig geflochtenem Haar, für ihr putziges und ganzgesichtiges Schmetterlingstattoo von allen Kolleg:innen nur so angehimmelt wird. Oh wie süß! Aber eigentlich ungerecht.)

Auch dass ich als Lehrkraft vielleicht denken könnte, an dieser Stelle eine mögliche und oft genug zurechtfantasierte Hausordnung über das echt niedergeschriebene und in der Verfassung verankerte Recht(!) eines Menschen(kindes) stellen zu können, um entweder einer Auseinandersetzung auf Augenhöhe mit erwachsenen Kolleg:innen aus dem Weg zu gehen, oder eben, um meinen Selbstwert durch Machtmissbrauch aufzupolieren… Ach menno. Denn wenn du dein Cappy nicht abnimmst, gibt es Demütigung vor allen, und Einträge und Gespräche mit Eltern, und Kinder, die auch bald auf dich zeigen und zu Hause von dir erzählen werden und und und… bis du endlich einfach tust, was ich dir sage! Und dann werde ich von dir verlangen, dass du aber sofort bitte die gleiche Leistung bringst, wie alle anderen. Ich werde dir keine Zeit geben, diese Demütigung zu verdauen.

Oh je…

Ja, ich kenne und verstehe als Fachkraft und als Papa und Mensch “Notsituationen”, in denen wir automatisch in unsere alten, blöden Muster der alten Autorität verfallen. Und auch ganz echte Überforderung in wirklich krassen Situationen, ja. Und damit rechtfertigen wir Erwachsenen noch allzu oft unser übergriffiges und autoritäres Verhalten. Weil, ich kenne das auch, und verdammt, ich habe es auch getan und es kann mir noch passieren. Es ist gut, das zu identifizieren. Und es ist gut, wenn wir uns gegenseitig in den Arm nehmen und unterstützen und uns, gegenseitig wieder mal dafür bedauern, dass wir gemein zu den Kindern waren, aber ja nicht anders konnten, weil und ach… Aber weil es eigentlich genau an der Stelle stehen bleibt, und sich so immer und immer wiederholen wird, und weil da niemand für das Kind spricht, aber mein inneres gerade sehr laut … darf ich ernsthaft die Frage stellen, ob es sich hierbei um so eine Notlage handelt, dass wir so ein Fass aufmachen? Gleich in den ersten Minuten eines neuen Tages? Darf ich mal fragen, wer hier eigentlich gerade in Wirklichkeit “so ein Theater macht”, wie wir gerne von den Kindern behaupten? Die weit größere Schauspielerfahrung haben jedenfalls definitiv wir Erwachsenen. Falls aber nein, dann werfe ich uns auf uns zurück und sage Nein für das Kind. Denn wenn es für mich bereits eine Notsituation darstellt, dass ein kleines Kind nicht sein Cappy abnimmt, dass ich es überhaupt brauche, dass es mir sofort und überhaupt gehorcht, dass ich zu keinerlei Perspektivwechsel in der Lage bin, den ich jedoch umgekehrt massiv einfordere… dann ist vielleicht etwas in mir selbst aus dem Gleichgewicht geraten? Ist nur geraten…

Das Cappy steht hier natürlich nur stellvertretend für eine Vielzahl anderer Dinge, bei denen mir immer wieder mulmig wird. So viel Übergriffigkeit, so viel wirklich respektloses Verhalten, so viel #Adultismus. Und die Kinder sollen für uns mit besserem Beispiel vorausgehen?

Damit geht ein Kind durch den Tag. Wo wird es in den ganzen vielen Stunden, die es dort verbringen muss, inklusive ausgelaugtem und überfordertem Ganztag, auf Menschen treffen, die es nicht mit “Frau” und “Herr” ansprechen muss, wo Stress wenigstens nicht künstlich steigen muss? Gleichwürdigkeit und wenigstens ein bisschen weniger Gewalt kosten an dieser und vielen anderen Stellen eigentlich keinen Cent.

Ich denke, das müsste alles schon lange nicht mehr sein. Kinder haben ein Recht darauf, neben allem Funktionieren nicht noch permanent von uns Erwachsenen angegangen zu werden und sich selbst auszudrücken, wenn sie dabei nicht sich oder anderen weh tun. Am Ende geht es hier um verletzte Kinder, um echte Eingriffe in die Integrität eines kleinen Menschen, denn umgekehrt tun wir Erwachsenen den Kindern weh. Immer wieder auch mit echten Demütigungen, die lebenslange Narben hinterlassen werden. Ja, selbst manchmal nur wegen so einer “blöden Mütze”, wie du sagst. Nein dazu. Ja zu deutlich mehr Herz.

I feel you, ja, du Erwachsener, aber dennoch, oder gerade deswegen… ❤️

AndersArtig-Flo